Johann Michael Haydn – Werk und Wirkung

Johann Michael Haydn gehört zu den Komponisten, mit denen sich eine wissenschaftliche Beschäftigung immer von neuem lohnt. Welche Themen gegenwärtig aktuell sind, lässt sich aus dem vorliegenden Tagungsbericht ersehen. Zwei Fragestellungen scheinen dabei zentral zu sein: Seit dem Erscheinen des von Donley D. Thomas und Charles D. Sherman verfassten Werkverzeichnisses stellt sich die Frage nach der Authentizität der Michael Haydn zugeschriebenen Werke auf einem neuen Niveau. Solange der Umfang des Oeuvres nicht sicher feststeht, fehlt der verlässliche Ausgangspunkt für eine ernst zu nehmende Beschäftigung.

Ein zweites Desiderat wäre das Herausstellen eines Kanons der zentralen Werke Michael Haydns, also eines Kanons von Hauptwerken; eine Aufgabe, die für die großen Komponisten der Musikgeschichte längst geleistet ist. Erst wenn feststeht, welches die wirklich relevanten Werke Michael Haydns sind, lässt sich sein kompositorischer Rang beurteilen.

Die Tagung zu Werk und Wirkung Johann Michael Haydns wurde im 200. Jahr seit seinem Tod abgehalten. Das Zusammentreffen dieses Jubeljahres mit dem 250. Geburtsjahr Wolfgang Amadeus Mozarts hat bei den Veranstaltern des Symposions einige Sorgen hervorgerufen, die sich im Nachhinein als unbegründet erwiesen. Die meisten der angeschriebenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagten ihre Teilnahme mit Freude zu, wofür an dieser Stelle aufrichtig Dank gesagt sei.

Das Zusammentreffen der Jubeljahre ist symptomatisch für die musikgeschichtliche Stellung Michael Haydns. Die Beschäftigung mit Michael Haydn erfolgte seit dem 19. Jahrhundert vor allem in Hinblick auf die Mozart-Forschung. Chronologisch war Michael Haydn nach Vater Leopold und Anton Cajetan Adlgasser der dritte Salzburger Musiker, dessen Einflüsse Wolfgang Amadeus Mozart auf sich wirken ließ. Das Forschungsinteresse richtete sich von Michael Haydn aus auf Mozart. In jüngster Zeit scheint sich auch die umgekehrte Blickrichtung als lohnend zu erweisen: Die Ergebnisse der Arbeit am Werk des jungen Mozart wirken sich auch befruchtend auf die Beschäftigung mit dem Salzburger Haydn aus. Die Forschungsperspektiven, die sich bei der Arbeit an Mozart bewährt haben, lassen auch die Gestalt Michael Haydns in vollerem Licht hervortreten.

Eher zufällig erscheint der Kongressbericht zu Michael Haydn im Jahr nach Ablauf des Joseph-Haydn-Jahres 2009. Bezüglich des Werkes der Brüder Haydn gibt es Authentizitätsfragen, die nur im Blick auf beide gemeinsam gelöst werden können. Gegenüber dem Werk und der Wirkung Michael Haydns muss die Beschäftigung mit seiner Biographie zurückstehen. Dabei bestehen noch erhebliche Lücken in der Biographie Michael Haydns. Die gesamten Siebzehnhundertsiebziger- und -achtzigerjahre sind, abgesehen von spärlichen Anekdoten, nur unzureichend von der „Biographischen Skizze" behandelt worden.

Umso erfreulicher ist es, dass wir seit dem Haydn-Kongress, was die Anekdote über Mozarts Violinduos betrifft, auf sicherem Boden stehen. Bernd Edelmann, dessen Referat leider nicht bis zur schriftlichen Form gedieh, stellte eine Annonce aus dem Verlagshaus Gombart vor, in dem die Violinduos Michael Haydns zusammen mit denen Mozarts unter dem Namen Michael Haydns angeboten wurden. Diese Ausgabe wurde allerdings, wie ein von Edelmann vorgelegtes, bislang unbekanntes Dokument berichtet, vom Verlag eingestellt, als ihm die wahre Autorschaft von zweien dieser Duos bekannt wurde.

Aus diesem Dokument folgt, dass die vier Haydnschen und die zwei Mozartschen Duette tatsächlich als Sechsergruppe als Werk einzig Michael Haydns existiert haben, aber nur einem sehr eingeschränkten Kreis bekannt waren, was den Irrtum des Verlegers erst erklärlich macht. Die Zusammenstellung und eingeschränkte Verbreitung lassen sich zwanglos mit der Anekdote erklären.

Ebenfalls nicht in schriftlicher Form konnte das Referat von Dwight Blazin vorgelegt werden, in dem er die Divertimenti à 3 MH 5-10 und 27 in den Zusammenhang des Wiener Streichtrios stellte.

Die Arbeit zu Michael Haydn ist inzwischen nicht still gestanden. Klaus Aringer entdeckte ein Klavierdivertimento, das ein unbekannter Arrangeur aus den Instrumentalsätzen zur Wahrheit der Natur MH 118 arrangierte. Der Verfasser des Vorworts konnte einen Salzburger Fund zur populären Deutschen Messe MH 560 vorstellen. Demnach ist Michael Haydn nur Bearbeiter und Ergänzer der Deutschen Messe, deren Spuren nach Prag und die dortigen Bemühungen um das deutsche Kirchenlied verweisen.

Im Jahr 2009 erschien bei Blue nuit editeur die 176 Seiten starke Broschüre von Marc Vignal, betitelt mit „Michael Haydn“. Damit liegt für den frankophonen Bereich eine populäre, auf dem aktuellen Stand stehende Einführung in das Leben und, das ist besonders hervorzuheben, das Werk vor.

Der Unterfertigte bedankt sich bei Prof. Dr. Manfred Hermann Schmid für die Ausrichtung des Kongresses und für die Mithilfe bei der Entstehung des Kongressberichtes. Den Autorinnen und Autorinnen sei gedankt für das geduldige Ausharren bis zur Publikationsreife. Die sich lange hinziehende Ablieferung der einzelnen Beiträge hat leider bewirkt, dass die Editionsprinzipien nicht einheitlich verwirklicht werden konnten.

Wissenschaft kann die in sie gesetzten Erwartungen nur erfüllen, wenn die Bedingungen dafür gegeben sind: Der Vorstand der Johann-Michael-Haydn-Gesellschaft dankt Eva und Franz Rutzen herzlich, dass sie in großzügiger Weise die Drucklegung dieses Kongressberichtes ermöglicht haben.(P. Petrus Eder OSB)